People and things

My personal comments on (programming) culture in general, technical details can be found on the Asquera blog.


Wirtschaftsförderung ist aus

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Der Spiegel hat Jugend hackt ins “Wirtschaft”-Ressort gepackt.

Ich will da keine böse Absicht unterstellen, aber die Begründung ist leider zu typisch:

Die Veränderungen in der technischen Szene werden in der Presse häufig in die wirtschaftliche Ecke verortet. Schade in einem Land, das als eines der Geburtsländer der Hackerbewegung zählt, traditionsreiche Hackerspaces in vielen Orten hat und einen politisch aktiven und starken Hackerclub besitzt. Der Quellcode im Feuilleton der FAZ wird ob seiner Einzigartigkeit immer rühmlicher.

Nun kann ich nicht für Jugend hackt sprechen, allerdings als Vorstand des Ruby Berlin e.V. (gemeinnützig), Veranstalter von Community-Konferenzen und zwei regelmäßigen Treffen ein paar Worte darüber verlieren. Die Wirtschaft ist mir ziemlich egal. Und die zukünftigen Unternehmer auch.

Zweck

Es wird ein wenig deutsch, aber ich möchte kurz unseren Vereinszweck zitieren:

§2.1 Zweck des Vereins ist die Förderung der Bildung und Erziehung im Bereich von Computertechnologien, insbesondere Verbreitung und Vermittlung der Programmiersprache Ruby sowie die Förderung der Gleichberechtigung von Minderheiten und Frauen und Männern. Der Vereinszweck soll unter anderem durch folgende Mittel erreicht werden:

  • Durchführung von öffentlichen Treffen und Informationsveranstaltungen zur Programmiersprache Ruby im In- und Ausland.
  • Veranstaltung internationaler Kongresse, Treffen und Konferenzen, wie beispielsweise die “European Ruby Conference (Euruko)” im In- und Ausland.
  • Öffentlichkeitsarbeit und Telepublishing in allen Medien.
  • Durchführung von Veranstaltungen und Projekte, die sich speziell an Jugendliche richten.
  • Zusammenarbeit mit und/oder finanzielle Unterstützung von gemeinnützigen Organisationen, wenn deren Aktivitäten mit den Zielen des Ruby Berlin e.V. vereinbar sind

Wirtschaftlich tätig sind wir nicht. Das dürften wir gar nicht. Wenn wir das Interesse von Unternehmen wecken, die unsere Ziele unterstützen wollen, nehmen wir das gerne an. Partnerschaften sind höchst willkommen. Und natürlich kann man uns fragen, wenn man Kontakte in die Technikcommunity braucht. Aber das ist nicht unser Ziel.

Uns gehts um was anderes.

Interesse wecken wo andere versagen

Digitale Bildung lässt sich in Deutschland momentan so zusammenfassen: veraltet, sehr mittelmäßig, kein Geld da, freiwillig. Wer Glück hat, hat engagierte Lehrer, die dafür unbezahlte Überstunden machen. Die Unis sind gut, aber nicht jeder studiert Informatik. Programmieren ist immer noch eine arkane Fähigkeit von ein paar pickeligen Nerds - zumindest in den Köpfen der Menschen.

Das ist traurig, gerade, weil das benötigte Arbeitsgerät - ein Computer, so alt und klapprig er auch sei - in über 80% der Haushalte vorhanden ist. In der relevanten Zielgruppe ist er sogar meist tragbar. Die benötigte Software ist kostenlos und frei. Im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen lässt sich der berühmte »Spaß am Gerät« kostengünstig und nebenher betreiben, selbst ein gartenverliebter Mensch hat damit mehr finanziellen Aufwand. Er eignet sich perfekt für Hobbyisten und Interessierte. Es ist eines der wenigen Hobbys, dem man mit jemandem auf der anderen Seite der Erde zusammen fröhnen kann. Programmieren kann man gerne als Hirnübung statt Sudoku betreiben. Nicht umsonst finden sich auf unseren Veranstaltungen viele, die einfach mal wissen wollen, was in dem Kasten denn passiert.

Mündigkeit fördern

Wir leben in einer rapide zunehmenden digitalen Welt. Wo ich als Junge noch »Mensch ärgere dich nicht« mit mir selbst gespielt habe, haben bereits Kinder im Kleinkindalter Zugriff auf Computer und (hoffentlich in beschränkter Form) das Internet. Mein erster Computer war schwächer als mein Smartphone und 100 mal so groß. Ohne Monitor. Trotzdem ist das verbreitete Wissen um all diese Technologien weit schwächer als zum Beispiel die grobe Funktionsweise eines Autos. Das ist auch nicht verwunderlich: in jedem Kaff gibts einen Schrauberclub und jemandem, der einem das gerne erklärt. Da sind 100 Jahre Netzwerk. Und wer sich mit seinem Auto auskennt, lässt sich auch von seiner Vertragswerkstatt keinen Bären aufbinden.

Dazu kommt, dass Eltern ihren Kindern oft kein Wissen mitgeben können, denn sie wurden von der Digitalisierung selbst überrollt. Ein Zustand, der hoffentlich dadurch besser wird, dass viele Kinder der Digitalisierung nun selbst Eltern werden.

Diese Grundbildung wollen wir anbieten. Wir möchten, dass Leute lernen, was eigentlich in dieser Maschine passiert, wie man programmiert, wie man Programme selbst konfigurieren und bedienen kann und - im Idealfall - vielleicht seine eigene Webseite selbst gestalten kann. Oder dafür sorgen wollen, dass die eigenen E-Mails vertraulich bleiben. Eben Schrauber werden. Nur halt mit einem digitalen Schraubenzieher. Oder einfach nur zum spielen.

Denn diese Leute können zumindest mit den Begriffen umgehen, die durch die Gegend fliegen, wenn mal wieder über Technik diskutiert wird. Was passiert, wenn Facebook auf allen Webseiten einen like-Button einbindet. Im Kleinen lernen, ihren Rechner selbst pflegen zu können und eventuell kompetent Fehler beschreiben. Oder sie können auf Arbeit mitbekommen, wenn ihnen die Technik gerade einen Bären aufbindet. Sie lernen den Unterschied zwischen Programmieren und Administrieren und warum das eine mit dem anderen kaum was zu tun hat. All das macht sie zu mündigen Personen. Sie können Erwartungen entwickeln, kommunizieren und sagen, wenn was Mist ist.

Und die brauchen wir: Software wird nicht zum Selbstzweck entwickelt und durchdringt alle Lebensbereiche. Häufig fehlt es an Menschen, die eine Brücke schlagen können zwischen ihrem Fach und der Technik. Und man sollte ihnen zuhören. Dann wäre wahrscheinlich weniger Krankenhaussoftware so schrecklich unbedienbar. Stattdessen werden digital kompetente Personen immer noch schräg angeschaut.

Entzaubern

Denn Magie ist das alles nicht. Programmieren oder Administration lassen sich gefahrlos lernen und die meisten Tools dazu sind frei verfügbar. Der Aufwand ist vertretbar. ProgrammiererInnen und TechnikerInnen sind eben keine Halbgötter in Shirt und Jeans, sondern ganz einfach Menschen, die strukturiert Zeit investiert haben. Das möchten wir vermitteln. Gerade die Projekte, die sich an Kinder und Jugendliche richten zeigen: das ist kinderleicht.

Regelmäßig sind Menschen überrascht, wenn ich ihnen sage, dass ich eben nicht seit meiner Teenagerzeit programmiere, sondern erst mit meinem Studium so richtig angefangen habe (ich hatte Informatik an der Schule, aber das war zum in die Tonne treten). Das zeigt, wie tief der (falsche) Respekt davor steckt, was wir tun. Oft korrigieren wir auch einfach bloß mal Schreibfehler. Niemand würde PflegerInnen überrascht anschauen, wenn diese erklären, dass sie erst mit 20 angefangen haben, Menschen gesund zu pflegen. Natürlich gibt es auch Programmierwunderkinder, aber Wunderkinder spielen auch mal Klavier.

Die Entzauberung dieser mächtigen Kisten auf unseren Schreibtischen ist mir wichtig. Mehr digital kompetente Menschen mit Ansprüchen fände ich toll.

Gesellschaftliche Versäumnisse kitten

Wir befinden uns in einer Revolution, der industriellen Revolution nicht unähnlich. War vor 20 Jahren ein Internetanschluss noch eine Besonderheit, reden wir heute über Kühlschränke und Thermostate mit Datenanbindung. Dennoch ist die Wahrnehmung von Menschen, die sich mit dieser Technik auskennen, seltsam stigmatisiert: die Vorstellung des käs’bleichen, komisches Zeug quasselnden Nerds im stillen Kämmerlein lebt fort. Dabei stimmt dieses Bild nicht und richtet inzwischen massiven Schaden an: bis hin zu unseren Politikern (meist älteren Semesters) fehlt ein umfassendes Verständnis dafür, was da eigentlich zusammengebaut wurde. Was damit möglich ist - im Guten und im Schlechten. Wenn doch mal drüber geredet wird, greift gerne mal der Präsident des europäischen Parlaments zu einer handfesten Beleidigung. Wir haben hier einen waschechten Generationenkonflikt. Und überall fehlt schlicht und einfach an Bildung - und erst recht an guten, breit aufgestellten Angeboten und Ansprechpunkten. Die möchten wir bieten.

Und es ist gefragt: den Projekten rennen die Besucher die Bude ein. Hätten wir mehr Zeit, mehr Trainer, mehr Geld - wir könnten noch mehr machen. Wir haben noch nie öffentliche Förderung erhalten (oder gebraucht). Unser Verein hat noch nie eine Arbeitsstunde bezahlt.

Die Ausbildung der Anderen

Der Fachkräftemangel ist mir egal. Ich besitze eine Berater- und Bildungsfirma, mir kommt er sogar entgegen. Ein klassischer Witz in der IT geht so: suche Entwickler mit 10 Jahren Erfahrung in iPhone-Entwicklung (das iPhone gibt es erst seit 8). Gesucht wird extrem qualifiziertes Fachpersonal, qualifizieren möchte keiner. Dabei bin ich davon überzeugt, dass dieser Hunger nach Qualifikation auch daher kommt, dass niemand gut mit Frischlingen arbeiten kann. Es ist die hässliche Spätfolgen einer Kultur, in der jeder (ja, wir reden hier meist von Männern) schon seit dem zehnten Lebensjahr vor dem Rechner saß und man diese Probleme nie hatte. Es ist das IT-technische Äquivalent der Vorstellung, jeder Mensch könne sehr gut mit MS Office umgehen (ich nicht, übrigens).

Auch hier fehlt es dem technischen Management an Bildung: technisches Fachwissen bewerten zu können, ist nicht immer Einstellungsvorraussetzung. Die korrekte Konsequenz aus dem Mangel, nämlich Geld in die Hand zu nehmen und sich die Menschen auszubilden, die man benötigt - die wird nicht gezogen. Stattdessen fordert man kostenlose Praktikanten. Ich kenne sogar Unternehmen, die mit Verweis auf die kostenlosen Angebote der Softwarecommunity ihren Arbeitskräften Fortbildung verweigern. Das ist eher wirtschaftsschädigend (für Bildungsunternehmen wie meines), aber ich bin mir auch sicher, dass man damit auf die Schnauze fliegt oder an anderer Seite teuer bezahlt. Diese Unternehmen würden natürlich auch nie als Sponsoren auftreten, denn diese Kurse sind ja für uns eben nicht kostenfrei.

Es ist vor allem auch gefährlich, in einer Zeit, in der diese Personen dann Datenbestände verwalten, die unsere Kreditkartendaten enthalten. Sony kostete schlechte Software vor gar nicht so langer Zeit 1,2 Milliarden Euro. Davon kann man viele Techniker ausbilden. Ich wette darauf, dass die Sicherheit des Playstation Network nie als geschäftskritisch für den Konzern gesehen wurde.

All das will ich nicht kitten. Das sollen die gerade selbst tun. Die Besten haben das erkannt und arbeiten daran. Bilden aus und finden neue Arbeitsformen, die den Wissenstransfer unter den Mitarbeitern verbesser. Ich helfe da gerne aus, aber dafür habe ich einen Rechnungsblock. Der kann gerne in den Wirtschaftsteil, weil davon zahle ich Steuern.

Wertschöpfung ist nicht das Ziel

Und deswegen möchte ich mit meiner Community-Arbeit auch nicht im Wirtschaftsteil stehen. »Gesellschaft« oder »Kultur« wäre gut, weil da gehört sie hin. Ich arbeite mit Menschen und helfe ihnen, Verständnis für eine unklare Welt zu entwickeln. Zu vermitteln, dass die »digitale Welt« eben auch die »reale Welt« ist und keine Parallelwelt. In der aber trotzdem Menschen auch mal ganz gerne mit dem Namen angesprochen werden, den sie sich gegeben haben und nicht ihre Eltern. In der sehr persönliche Dinge geschehen, mit sehr realen Auswirkungen (ca. 30% aller Beziehungen werden heute im Internet geknüpft). In der Vertrauen aufgebaut wird, aber auch verloren geht. Und das alles ist fundamental mit Technik verknüpft, sie ist das Trägermedium, so wie früher der Kneipentresen. Aber was passiert, wenn diese Menschen mit jemandem im Internet anbandle?

Ich möchte, dass sie Kontakte knüpfen zu Menschen, die ihnen die Hintergründen davon auf eine Art erklären können, für die man kein Diplom braucht. Ich möchte, dass sie auf einer Augenhöhe reden können. Ich habe darin dieses Jahr über den Daumen 500 Stunden investiert und wir haben noch 2 Monate. Ich bin nach Uruguay geflogen, um einen Vortrag über den Zustand unserer Community zu halten. Ich habe einen Vortrag auf der ersten Ruby-Usergruppe in Pretoria gehalten. Natürlich bin ich auch Nutznießer davon, weil ich das zu meinem Beruf gemacht habe, aber ich hab das bereits davor gemacht. Wirtschaftlich betrachtet gibt es bessere Wege. Ich moderiere darüber hinaus seit ca. 15 Jahren Foren (auch untechnische) und sorge dafür, dass Leute sich keine Morddrohungen um die Ohren hauen. Ich lobbyiere gegen die unangenehmen Aspekte unserer Communities. Ich bin sehr glücklich damit, ich kann das gut. Ich werde dafür respektiert. Es ist mein Hobby. Das unter seinem wirtschaftlichen Aspekt zu betrachten, wird der Sache nicht gerecht und ist eine besondere Art von Ignoranz.

Wenn das bei jemandem so stecken bleibt, dass sie daraus ein Unternehmen machen, finde ich das toll. Aber man kennt auch Menschen, die sich nach langem Üben als Bogenbauer selbstständig gemacht haben. Auch das sind die Unternehmer der Zukunft. Aber als Verkäufer auf oder Veranstalter von einem der vielen Mittelaltermärkte fällt man halt nicht unter “Wirtschaft”.

Vor kurzem beschwerte sich eine Mitorganisatorin, dass ein Journalist gerne einen Bericht über “Woman in Tech” schreiben wollte. Leider stellte sich schnell heraus, dass wohl nur Unternehmerinnen gemeint waren, keine Programmiererinnen oder Organisatorinnen. Frustration allerseits. Das zeigt, wie schlecht hier die Kommunikation läuft und wie wenig Einblick in diese Szene besteht - auch bei denen, die eigentlich darüber berichten sollten.