People and things

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Auch mal was gegen links tun

Tags: links rechts mitte oben unten moralischer kompass

“Und was macht ihr gegen linke Gewalt?”. Ich muss leicht verwirrt schauen – saßen wir doch in einem Raum, auf dessen Tür “AG gegen rechte Gewalt” steht. Die Hetzjagd in Guben und der Angriff auf zwei Vietnamesen in Eggesin und andere Gewalttaten waren nicht lange her, bei uns im Ort ging man gegen Linke und die lokale Presse vor (“doxxing” war damals noch kein Begriff). Heute wissen wir, dass damals der NSU zu morden begann. Der einzige schwarze Schüler an unserer Schule wurde komisch beäugt. Wir sahen darin ein Problem und haben dagegen eine AG gegründet. Das haben wir klar so formuliert und uns damit bei einigen unbeliebt gemacht. Bei einer ganzen Reihe Lehrern, die eine politische AG nicht haben wollten, Eltern, die sie aushebeln und vor dem Förderverein lächerlich machen wollten und natürlich Mitschüler_innen, die fanden, man sollte dieses Thema »50 Jahre nach Adolf« auf sich beruhen lassen. Und natürlich die Reihe rechter Skins in den meisten Treffen, die sich das “einfach mal anschauen wollten”. Ich mache mir keine Illusionen, dass wir paar 16-jährigen im Großen Ganzen etwas gerissen haben, aber es war für alle Beteiligten eine gute Erfahrung. Darüber, dass man durchaus standhaft und moralisch sein kann und darüber, wieviel Gegenwind man bekommt, wenn man “Selbstverständlichkeiten” wie “Diskriminierungsfreiheit” einfach mal ausspricht. Aber eben auch Verbündete findet - in diesem Fall einen Religionslehrer und den Vorsitz des Elternbeirats. Aber auch immer wieder diese Frage: “Was macht ihr denn gegen Links?”

Seitdem begegnet mir dieser Spruch immer wieder.

Oder alternativ: “gibts Rails Girls, aber nur für Männer?”. All diesen Fragen ist eins gemein: die irrige Annahme, das Ausgleich und Gleichheit dadurch entsteht, dass es zu jeder Aktion die genaue Spiegelaktion gibt. Das gegen alles Unrecht auf einmal oder garnicht vorgegangen werden muss. Die Erde ist eine Waage. Wer was gegen rechte Gewalt tut, muss was gegen linke Gewalt tun. Wo was für Frauen getan wird, muss was für Männer getan werden. Es ist die billigste aller Fragen.

Wir schweben nicht in der Leere

Alle genannten Beispiele, AG gegen Rechts, Rails Girls und Frauenstudiengang sind nicht einfach aus dem Nichts entstanden. Sie sind Antworten auf eine Unzufriedenheit und ein formuliertes Problem. Gewalt von Rechts, der Wunsch nach mehr Frauen in der Ruby-Community und der Wunsch nach mehr Frauen, die qualifiziert in die IT einsteigen. Ich kann mich allen sehr gut anschließen, ich kann mit rechtem Gedankengut nichts anfangen und fand - als Sohn eines Informatikerin und eines Informatikers - das Leben unter Männern in Studium, Agentur-Praktikum und späterem Beruf einfach unwirklich. Ich glaube das segregierende Gerede von fundamentalen Geschlechterunterschieden nicht.

Und deswegen gibt es keine Rails Boys, keinen Männerstudiengang Informatik und deswegen veranstalte ich auch keine AG gegen Links (obwohl ich mich als Pazifist natürlich generell gegen Gewalt ausspreche): es sind keine dringenden Probleme für die, die sie veranstalten. Ich glaube nicht, dass Männer in der IT einen schweren Stand haben – oder wir gar zu wenige in der IT haben. Bei rechter Gewalt halte ich es mit Holgi. Darüber hinaus sind die Quellen rechter und linker Gewalt oft sehr unterschiedlich - eine Aktion gegen beides wäre völlig sinnentleert.

Diese Projekte sind alle für sich genommen auch nicht fair: klar bevorzugt Rails Girls Frauen und marginalisierte Gruppen. Das ist ihr ganzer Zweck. Gezielte Ansprache ist ein offenes Ziel des Projekts und das geschieht nunmal darüber, das explizit zu propagieren. Der Erfolg dieser Projekte misst sich nicht an ihrer Fairness, sondern daran, ob sie ihr Ziel erreichen. “Und, nutzts was?” wäre zwar auch platt, aber eine Frage, an der man sich messen kann und muss.

Und so bleibt diese Eingangsfrage eins: ein sich verständnislos Stellen und die nicht ernst nehmen, die ihre Zeit und ihre Hingabe darin investieren, Probleme zu lösen, die ihnen wichtig sind. Es ist eine eklige Rechthaberfrage. Wer möchte, kann gerne zur Hochschulleitung gehen und einen Männerstudiengang Informatik fordern. Das macht natürlich niemand, weil hoffentlich vor dem Durchschreiten der Tür die Lächerlichkeit klar wird. Die Frage kommt von all denen, die eh nur zusehen. Oder internetdeutsch: Trollen. Und warum fragt eigentlich niemand, warums kein CoderDojo für Erwachsene gibt?

Das kleine Geschwister dieser Frage ist: “Ihr macht was in der IT, aber in der Pflege sieht das genau andersrum aus!”. Ja, aber ich arbeite nun mal in der IT, habe dort Kontakte und kann da was bewegen. Mein halber Freundeskreis arbeitet übrigens in der Pflege. Wer glaubt, diese Geschlechterdiskussion findet dort nicht statt, hat sich gehörig geschnitten. Und das Problem ist komplexer als einfach nur die Umkehrung anderer Debatten.

Von einer Gruppe kam die Frage nie: von der Reihe Skins auf der hinteren Bank. Die wussten, warum wir das tun. Und sie wussten, warum sie das tun, was sie tun. Da waren wir wenigstens alle ehrlich und offen: ehrlich gegeneinander.

Es ist die Frage für die Berufszweifelnden in der Mitte, die an keine Bewegung mehr glauben, keine Vision mehr haben, aber trotzdem die Schnauze nicht halten können. Die die Welt eh nur noch ironisch betrachten können und sich an den letzten Strohhalm klammern, den sie mit Cleverness verwechseln. Die noch nie was gerissen haben, es auch nie werden, aber denen auch nie jemand sagen wird: “ihr inspiriert uns”.

Und deshalb kann man diese Frage nicht beantworten, man kann sie nur entlarven - und darin liegt auch ihr Reiz.

Danke an @lauralindal für die tolle Vorlage und gute Anmerkungen und @bascht fürs Lektorat.

Nachtrag

Der Blogpost erfindet die schnippische Frage, warum es einen Kinderkurs nicht auch für Erwachsene gibt. Ich habe diese Frage für weit am Rande der Realität gehalten. Nun…